Es war ein langer Weg, den dieser Mann gehen musste, um zu seinem Recht zu kommen. Er kämpfte sich durch alle Instanzen und hatte schließlich vor dem Bundesverfassungsgericht Erfolg. Anlass des Rechtsstreits war ein Schreiben des Mannes an den obersten Staatsanwalt, in dem er sich hitzig über den Bearbeiter seines Strafverfahrens beschwert hatte und dafür wegen Beleidigung verurteilt wurde.
Was war passiert?
Nachdem gegen ihn ein Strafverfahren wegen unrechtmäßigen Bezuges von Arbeitslosengeld geführt und er zu einer Geldstrafe verurteilt worden war, erstattete der Verurteilte eine Strafanzeige gegen einen Mitarbeiter der Agentur für Arbeit. Grund war, dass der Zeitraum, in dem er zu Unrecht Arbeitslosengeld bezogen hatte, im Ermittlungsverfahren und dann auch im Urteil falsch angegeben war. Die Staatsanwaltschaft stellte das Verfahren gegen den Mitarbeiter der Agentur für Arbeit ein und schickte dem Verurteilten eine Einstellungsnachricht. Diese nahm der Verurteilte zum Anlass, eine schriftliche Stellungnahme an den „Oberstaatsanwalt Landshut“ zu verfassen, in der er sich über den in seiner Sache ermittelnden Staatsanwalt beschwerte. Er warf diesem schwere Ermittlungsfehler vor und bezeichnete ihn als einen „selten dämlichen Staatsanwalt“, der nicht lesen und schreiben könne.
Verurteilung wegen Beleidigung von mehreren Strafgerichten bestätigt
Aufgrund der Äußerung erließ das Amtsgericht einen Strafbefehl wegen Beleidigung und verurteilte den Mann erneut zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen. In der Berufung erhöhte das Landgericht die Strafe auf 80 Tagessätze. Nach einer erfolgreichen Revision hielt eine andere Kammer des Landgerichts die Verurteilung hingegen wieder und begründete ausführlich, warum die Bezeichnung als „dämlicher Staatsanwalt“ in dieser Situation eine Beleidigung darstellen soll.
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
Als letzten Schritt erhob der Verurteilte Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht. Dort bekam er nach einem jahrelangen Hin und Her Recht. Das Bundesverfassungsgericht entschied mit Beschluss vom 9. Februar 2022 – 1 BvR 2588/20, dass die Bezeichnung der ermittelnden Person bei der Staatsanwaltschaft als „dämlicher Staatsanwalt“ keine Beleidigung darstellt und die Instanzgerichte die Bedeutung des Grundrechts auf Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 Grundgesetz (GG) verkannt haben.
In seinem Beschluss begründet das Bundesverfassungsgericht die Entscheidung mit umfangreichen Ausführungen zur Meinungsfreiheit und zur Machtkritik der Bürger.
Machtkritik der Bürger
Einen Teil der Meinungsfreiheit stellt die Machtkritik dar. Sie soll gewährleisten, dass Bürger einen für sie verantwortlichen Amtsträger in anklagender und personalisierter Weise für seine Art und Weise der Machtausübung angreifen können. Dabei sollen sie nicht befürchten müssen, dass einzelne Teile ihrer kritischen Äußerungen aus dem Kontext herausgelöst werden und die Grundlage für einschneidende strafgerichtliche Verurteilung bilden.
Auch Machtkritik hat Grenzen
Selbstverständlich hat auch jede Machtkritik Grenzen. Sie erlaubt nicht jede ins Persönliche gehende Beschimpfung von Amtsträgern.
So sind Äußerungen desto weniger schutzwürdig, je mehr sie sich von einem Meinungskampf wegbewegen und die Herabwürdigung der betroffenen Amtsträger in den Vordergrund tritt. Welche Äußerungen hinzunehmen sind und welche nicht, muss an Art und Umständen der Äußerung, der Position des Betroffenen und des Umfangs der Öffentlichkeit seiner Person, beurteilt werden.
Zudem spielen auch die Begleitumstände der Äußerung eine Rolle. Bei schriftlichen Äußerungen kann nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts ein höheres Maß an Bedacht und Zurückhaltung erwartet werden, da bei hier eine längere Bedenkzeit gegeben ist.
Wieder einmal der „Kampf ums Recht“
Zudem ist nach den Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts erheblich, ob und inwieweit für die Äußerung ein konkreter und nachvollziehbarer Anlass bestand oder ob sie aus nichtigen Gründen getätigt wurde. Hierbei muss der Gesichtspunkt des sog. »Kampfs um das Recht« berücksichtigt werden. Danach ist es im Kontext rechtlicher Auseinandersetzungen grundsätzlich erlaubt, besonders starke und eindringliche Ausdrücke zu benutzen, um Rechtspositionen und Anliegen zu unterstreichen.
Angriff auf die Person des Staatsanwalts im konkreten Fall fernliegend
Das Bundesverfassungsgericht bezog all diese Punkte in die Gesamtwürdigung ein und hielt es angesichts des Kontextes der Äußerung für fernliegend, dass der Verurteilte den zuständigen, ihm weder namentlich noch persönlich bekannten Staatsanwalt angreifen wollte. Er habe vielmehr dessen Amtsführung, konkret die Form der Führung des gegen ihn gerichteten Ermittlungsverfahrens, angreifen wollen. Der Verurteilte habe nicht einmal gewusst, dass seine Akte nicht von einem Staatsanwalt, sondern einer Staatsanwältin bearbeitet worden war.
Der Meinungsschutz des Verurteilten wurde durch die Strafgerichte unterlaufen, was das Bundesverfassungsgericht ganz klar feststellt. Eine Entscheidung, die wieder einmal zeigt, dass nicht jede abwertende Äußerung eine persönliche Beleidigung sein muss.
Rechtsanwältin Vanessa Gölzer, Strafverteidigerin und Fachanwältin für Strafrecht aus Berlin