Kein Geld für die Fahrt zur Hauptverhandlung – Erlass eines Haftbefehls bei Ausbleiben wegen Mittellosigkeit rechtswidrig

Angeklagte in einem Strafprozess müssen zur Hauptverhandlung kommen. Kommen sie nicht, können sie zum nächsten Termin polizeilich vorgeführt oder es kann ein Haftbefehl erlassen werden. Das sieht die Strafprozessordnung in § 230 Abs. 2 vor.

Vorführung vorrangig

Bevor das Gericht einen Haftbefehl erlassen darf, muss es eine polizeiliche Vorführung zum nächsten Termin versuchen. In der Praxis sieht diese so aus, dass die Angeklagten am Vorabend oder Morgen der Verhandlung abgeholt und in kurzzeitig in Haft genommen werden. Nur wenn es konkrete Anhaltspunkte dafür gibt, dass ein Vorführungsbefehl nicht gelingen wird, darf ein Haftbefehl erlassen werden. Dieser ist mit einer längeren Haftzeit und somit mit einem deutlich stärkeren Grundrechtseingriff verbunden.

Amtsgericht erlässt Haftbefehl trotz Mittellosigkeit des Angeklagten

Das Amtsgericht Ahrensburg hatte diesen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit offenbar nicht präsent, als es gegen einen Angeklagten einen Haftbefehl erließ, der nicht zur Hauptverhandlung erschienen war. Der Angeklagte hatte dem Gericht vor dem Termin telefonisch mitgeteilt, dass er sich die Anreise zum Termin finanziell nicht leisten könne. Zudem war aktenkundig, dass der Angeklagte schwer drogenabhängig war und Geld vom Jobcenter erhielt, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten.

Das Landgericht Bremen hob den Haftbefehl des Amtsgerichts mit Beschluss vom 10.03.2022 – 4 Qs 47/22 auf. Es verwies das Gericht auf die weniger einschneidende Maßnahme, den Vorführungsbefehl. Denn offenbar war der Angeklagte bereit, zur Verhandlung zu kommen, konnte sich aber nur die Anreise nicht leisten. Mit einer Vorführung wäre dieses Hindernis beseitigt worden.

Mehr Sensibilität für Grundrechtseingriffe nötig

Man kann nur hoffen, dass diese Entscheidung wieder zu mehr Sensibilität bei den Gerichten führt und in Zukunft zweimal überlegt wird, ob ein Haftbefehl beim Ausbleiben wegen Mittellosigkeit einer Angeklagten tatsächlich notwendig ist.

Rechtsanwältin Vanessa Gölzer, Fachanwältin für Strafrecht

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