Viele meiner Mandant:innen wollen eine Hauptverhandlung – wie ich finde aus guten Gründen – vermeiden. Das Strafverfahren stellt für fast alle von ihm Betroffenen eine erhebliche psychische Belastung dar und bis eine Hauptverhandlung überhaupt stattfindet, vergeht vor allem in Berlin oft viel Zeit. Zeit, in der die Unsicherheit und die Angst, (auch unschuldig) verurteilt zu werden, wächst. Zudem kostet eine Hauptverhandlung neben dem Geld, das für die Verteidigung anfällt, vor allem Nerven. Die Hauptverhandlung ist öffentlich und geht mit einer erheblichen Stigmatisierung einher. Auch der Gedanke an das Zusammentreffen mit (Belastungs-) Zeug:innen löst bei vielen Betroffenen Angst aus.

Eine Möglichkeit, die Hauptverhandlung zu umgehen, stellt die Einstellung des Verfahrens aus Opportunitätsgründen nach § 153 StPO dar. Bei einer solchen Verfahrenseinstellung findet in der Regel keine Hauptverhandlung statt. Die Eintragung wird zudem nicht in das Bundeszentralregister eingetragen. Wenn ich meinen Mandant:innen vorschlage, auf eine Einstellung des Verfahrens hinzuwirken und ihnen die Vorteile erkläre, werde ich fast immer gefragt, ob die Zustimmung zu einer Einstellung ein Schuldanerkenntnis darstellt und nachteilige Konsequenzen haben kann.

Kein Schuldeingeständnis durch Verfahrenseinstellung

Zunächst die gute Nachricht: Eine Einstellung des Verfahrens nach § 153 StPO stellt kein Schuldeingeständnis dar.

Die Einstellung berührt die verfassungsrechtlich verankerte Unschuldsvermutung nicht. Erst wenn die Schuld der von einem Strafverfahren betroffenen Person in einem rechtsstaatlichen Strafverfahren nachgewiesen wurde, kann von festgestellter Schuld die Rede sein. Dennoch kommt es immer wieder dazu, dass Ermittlungsbehörden die Unschuldsvermutung durch die falsche Bewertung einer Einstellungsentscheidung umgehen.

So musste das Bundesverfassungsgericht erst kürzlich in seiner Entscheidung – BVerfG 2 BvR 2132/19 – feststellen, dass die Einstellung eines Verfahrens nach § 153 keine tragfähige Grundlage für die Annahme eines Anfangsverdachts in einem neuen Ermittlungsverfahren begründet und aus ihr nicht auf die Täterschaft der betroffenen Person geschlossen werden darf.

Die Entscheidung des Bundesverfassungserichts

Anlass der Entscheidung war ein – wie sich herausstellte – rechtswidriger Beschluss zur Durchsuchung der Wohnung der Beschwerdeführerin, gegen die ein Verfahren wegen Sachbeschädigung geführt wurde, weil sie eine Hauswand mit dem Schriftzug ‚KLIT‘ besprüht haben soll. Etwa ein Jahr zuvor war gegen dieselbe Beschwerdeführerin schon einmal wegen eines gleichgelagerten Delikts ein Ermittlungsverfahren geführt, aber nach § 153 StPO eingestellt worden. Um nun den für die Wohnungsdurchsuchung erforderlichen Anfangsverdacht zu begründen, hatte die Polizei in der Akte vermerkt, dass der Beschwerdeführerin in dem früheren Ermittlungsverfahren „der Schriftzug ‚KLIT‘ als individuelles Tag (Pseudonym eines Sprayer [sic]) zugeordnet“ worden sei und damit auf die Täterschaft der Betroffenen geschlossen.

Das Bundesverfassungsgericht wertete dieses Vorgehen als einen Verstoß gegen die Unschuldsvermutung. Denn mit der Einstellung nach § 153 StPO wird nach den Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts lediglich zum Ausdruck gebracht, dass zu einem anderen Zeitpunkt durch die Ermittlungsbehörden ein Tatverdacht wegen Sachbeschädigung angenommen wurde und welche prozessuale Behandlung dieses Verfahren erfahren hat. Da eine gerichtliche Schuldfeststellung nicht getroffen worden sei, müsse erkennbar berücksichtigt werden, dass es sich lediglich um einen Verdacht handelt.

Welchen Schluss die Einstellung nach § 153 StPO dennoch zulässt

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zeigt erneut, dass Ermittlungsbehörden ein eingestelltes Verfahren durchaus zur Kenntnis nehmen und bewerten dürfen. Der aus einer Einstellung nach § 153 StPO gezogene Schluss darf aber nur sein, dass ein Verdacht der Täterschaft besteht – nicht mehr und nicht weniger. Ermittlungsbehörden und Gerichte, die aus einer Einstellung eine Schuldfeststellung ableiten, verstoßen gegen die Unschuldsvermutung und können dafür – wenn auch mit erheblichem Aufwand– zur Verantwortung gezogen werden.

 Rechtsanwältin Vanessa Gölzer, Strafverteidigerin aus Berlin

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