Nicht jede provokante Äußerung ist eine Beleidigung. Das stellte auch das Bayerische Oberlandesgericht wieder fest und kassierte eine Verurteilung eines Angeklagten wegen Beleidigung der Polizei. Der Angeklagte hatte in einem Schreiben an die Polizei seinem Ärger Luft gemacht und die Begriffe „schwul“ und „Lügner“ verwendet. Hintergrund des Schreibens war ein Polizeieinsatz, bei dem der Angeklagte – seiner Ansicht nach – widerrechtlich verletzt worden war.
Verurteilung wegen Beleidigung der Polizei aufgehoben
Der Brief blieb für den Angeklagten nicht ohne Konsequenzen. Das Amtsgericht Straubing verurteilte ihn wegen Beleidigung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 4 Monaten. Sowohl die Staatsanwaltschaft als auch der Angeklagte legten gegen das Urteil Berufung ein. Die Berufung war für den Angeklagten nicht erfolgreich, denn seine Strafe wurde von 4 auf 6 Monate erhöht. Erst in der Revision vor dem Bayerischen Oberlandesgericht (BayObLG) wurde das Urteil nun mit Beschluss vom 9. Februar 2023 – 203 StR 497/22 aufgehoben.
Das BayObLG hielt die Feststellungen der Gerichte nicht für ausreichend, um eine Verurteilung wegen Beleidigung auf sie stützen zu können. Insbesondere hatten die Gerichte die Rechtsprechung zur Meinungsfreiheit und Rechtfertigung wegen der Wahrnehmung berechtigter Interessen nach § 193 StGB nicht berücksichtigt.
Abwägung Meinungsfreiheit gegen Ehre
Nach Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG hat jeder das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten. Nach ständiger Rechtsprechung gehören dazu auch Werturteile, selbst wenn sie polemisch oder verletzend formuliert ist. Ob ein Werturteil eine Beleidigung darstellt, muss von den Gerichten in einer Einzelfallabwägung festgestellt werden. Der Meinungsfreiheit muss dabei die Ehre des anderen gegenübergestellt werden.
Keine Einzelfallabwägung bei Schmähungen oder Formalbeleidigungen
Eine Einzelfallabwägung muss nur dann nicht vorgenommen werden, wenn die Äußerung die Menschenwürde des anderen antastet oder sich als Schmähung oder Formalbeleidigung darstellt.
Formalbeleidigungen sind besonders krasse Schimpförter, zu denen nach Ansicht des BayObLG die Bezeichnungen als „schwul“ noch „Lügner“ nicht zählen.
Schmähkritik ist überzogene Kritik, bei der nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht. Dazu müssen alle Begleitumstände der konkreten Situation berücksichtigt werden, was die Gerichte hier nicht gemacht hatten. Denn weder das Amtsgericht noch das Landgericht hatten berücksichtigt, dass der Brief des Angeklagten nach einem Polizeieinsatz geschrieben wurde, bei dem er sich ungerecht behandelt gefühlt hatte.
Keine Formalbeleidigung
Insgesamt würden die Bezeichnungen „schwul“ und „Lügner“ weder die Menschenwürde verletzen noch ein tabuisierendes Schimpfwort und damit eine Formalbeleidigung darstellen, so das BayObLG. Für eine Wertung als Schmähkritik fehle die Auseinandersetzung der Gerichte mit dem Polizeieinsatz und der vermeintlich widerrechtlichen Verletzung des Angeklagten. All diese Umstände werden im nächsten Anlauf geklärt werden müssen, um eine Verurteilung wegen Beleidigung begründen zu können.
Strafverfahren wegen Beleidigung?
Wird gegen Sie ein Strafverfahren wegen Beleidigung geführt und haben Sie ein Post von der Polizei erhalten? Lassen Sie sich verteidigen. Denn auch bei Bagatelldelikten sollten Sie verteidigt sein.
Rechtsanwältin Vanessa Gölzer, Fachanwältin für Strafrecht