Die Beschränkungen gegen die Corona-Pandemie haben viele Bereiche des Lebens zum Stillstehen gebracht – auch bei Gericht. So kamen weniger Zuhörer:innen in das Gericht, um sich Hauptverhandlungen anzuschauen. Nun musste sich der Bundesgerichtshof (BGH) in seiner Entscheidung vom 17. November 2020 damit befassen, ob die Corona-Schutzverordnungen Menschen daran hindert, als Öffentlichkeit an Gerichtsverhandlungen teilzunehmen.

Allgemeinverfügung auf Grundlage des Infektionsschutzgesetzes

Anlass der Entscheidung des BGH war ein Verfahren gegen einen Angeklagte, der in der ersten Instanz u.a. wegen schweren Raubes und sowie vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und zehn Monaten verurteilt wurde. Gegen das Urteil des Landgerichts Chemnitz legte er Revision ein. Diese begründete er unter anderem mit einem Verstoß gegen den Öffentlichkeitsgrundsatz.

Zur Zeit seiner Hauptverhandlungen galt in Sachsen auf der Grundlage des Infektionsschutzgesetzes die Allgemeinfügung, wonach das Verlassen der Wohnung ohne triftigen Grund verboten war. Triftige Gründe waren danach z.B. die Wahrnehmung von Termine bei Behörden, Gerichten, Gerichtsvollziehern, Rechtsanwälten und Notaren.

Der Angeklagte vertrat die Auffassung, dass das Landgericht seine Hauptverhandlungstermine hätte verschieben müssen, um nicht gegen den Grundsatz der Öffentlichkeit zu verstoßen. Denn die Allgemeinverfügung führe dazu, dass Zuschauer:innen sich keine Hauptverhandlungen mehr anschauen könnten, von denen sie selbst nicht betroffen sind. Damit sei die Kontrolle der Gerichte durch die Öffentlichkeit nicht gewährleistet.

Öffentlichkeitsgrundsatz

Der Öffentlichkeitsgrundsatz ist einer der wichtigsten Grundsätze für die Durchführung und die Rechtsstaatlichkeit des Strafverfahrens. Er besagt, dass Gerichtsverhandlungen für alle Bürger:innen frei zugänglich sein müssen. Damit soll die Kontrolle der Justiz, durch die am Verfahren nicht beteiligte Öffentlichkeit ermöglicht werden und es soll allen Bürger:innen die Möglichkeit gegeben werden, sich von der Rechtsmäßigkeit der Verfahren selbst zu überzeugen. Den Gerichten ist es somit verboten, Maßnahmen zu treffen, die interessierte Zuhörer von einem Besuch abhalten könnten.

Verlassen der Wohnung zur Teilnahme an öffentlichen Gerichtsverhandlungen stellt einen triftigen Grund dar

Der BGH entschied jedoch, dass das Landgericht den Grundsatz der Öffentlichkeit nicht verletzt habe. Nach der in Sachen geltenden Allgemeinverfügung bestand kein Verbot, als Zuhörer an Hauptverhandlungen teilzunehmen. Der Öffentlichkeitsgrundsatz ist ein unverzichtbares Recht. Das wird vor allem dadurch deutlich, dass die Beteiligten bei einem Verstoß ausnahmslos Revision einlegen können. Es steht somit außer Frage, dass das Verlassen der Wohnung zur Teilnahme an öffentlichen Gerichtsverhandlungen einen triftigen Grund begründet, der eine Ausnahme der Allgemeinverfügung zulässt.

Fazit

Auch wenn die Corona-Maßnahmen das öffentliche Leben weitgehend einschränken, ist die Öffentlichkeit in Gerichtsverhandlung weiterhin zugelassen. Alle Bürger:innen dürfen somit trotz Corona an den Verhandlungen teilnehmen.

Rechtsanwältin Vanessa Gölzer, Strafverteidigerin in Berlin